Die Wahrheit ist langweilig
Alle Politiker lügen. Sagt man im
Städtchen und in der weiten Welt. Man kann sich darüber aufregen und zugleich
in Sicherheit wiegen. Wenn eh alle lügen, dann wählen wir eben den, der das am
besten kann. Manchmal ist das hinterher teuer. „Griechenland“ beginnt eben
schon am Wörthersee.
In jeden Briefkasten
wurde die Nachricht geworfen, der Bürgermeister habe gelogen.
Auch im Städtchen haben sich viele
aufgeregt. Der Bürgermeister habe gelogen, sagen sie. In jeden Briefkasten wurde
die Nachricht geworfen, der Bürgermeister habe gelogen. Sie wiederholen es wie
eine Gebetsmühle.
Man kann sich die Video-Aufzeichnung
ansehen, sie ist nicht misszuverstehen. Der Bürgermeister spricht Dialekt, wie
die meisten hier. Er spricht so deutlich, dass sogar ich als Deutscher jedes
Wort verstehe.
Worum ging es: Vor Jahren hat ein
Grundbesitzer der Stadt ein Angebot gemacht. Ein Drittel eines Grundstücks,
dann noch ein zweites Drittel, aber mit dem ersten Teil nicht verbunden.
Irgendwie nicht gut zu bebauen. Aber dafür zum doppelten Schätzpreis angeboten.
Man kann’s ja mal versuchen.
Der Bürgermeister forderte den
Grundbesitzer auf, doch das ganze Grundstück anzubieten. Aber das Angebot kam
nicht. Der Hausbesitzer verhandelte schon mit einer Baufirma. Das war sein
gutes Recht.
Der Wirtschaftsausschuss der
Stadtvertretung hat das halbherzige Angebot zum doppelten Preis mit den Stimmen
aller Parteien abgelehnt.
Nun ist eine Partei plötzlich
schlauer als vor fünf Jahren. Eigentlich sind alle Parteien schlauer als vor
fünf Jahren. Aber manche sind nicht nur schlauer, sondern auch vergesslicher.
Sie wissen gar nicht mehr, was sie vor fünf Jahren alles mitbeschlossen haben.
Jetzt hat man es plötzlich immer schon gewusst. Damals wollte man vor allem
Geld sparen. Jetzt wirft man dem Bürgermeister vor, dass er es nicht mit vollen
Händen ausgegeben hat.
Vor allem aber weiß man, der
Bürgermeister habe gelogen. Er habe gelogen. Er habe gelogen. Man behauptet es
so lange, bis man es selber glaubt.
Aber glaubt man das wirklich selber?
Es gibt ja eine Videoaufnahme, die zeigt, was der Bürgermeister tatsächlich
sagt: „Das Angebot hat es gegenüber der Stadt nie gegeben, das ganze Areal zu
kaufen.“ Er sagt es im Dialekt. Alle können es verstehen, sogar ich. Alle
können es hören, dass er eigentlich nur die schlichte Wahrheit sagt. Wie
langweilig. Der Mann ist kein „richtiger“ Politiker, er lügt ja gar nicht.
Schade, dass der Hausbesitzer nicht
das ganze Areal zum Kauf angeboten hat. Dann könnte man sich die Aufregung im
Städtchen sparen. Aber im Moment kommt Aufregung gelegen, schließlich ist
Wahlkampf. Und wer am besten lügt, glaubt manchmal, schon gewonnen zu haben.
hanno.loewy@vorarlbergernachrichten.at
Hanno Loewy ist Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems.
Hanno Loewy ist Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems.
Quelle: VN
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